Sonntag, 7. Oktober 2007

Burmas Machthaber und deren Aberglaube

Burmas Machthaber und deren Aberglaube


Than Shwe in seinem gepanzerten Mercedes 600
'er liebt Waffen über alles'

Jonas M. Lanter

Unter tosendem Jubel kam der Erlöser im Jahr 2003 auf einem Floss den Irrawady-Fluss herunter. Er wurde von geschmückten Soldaten in einen eilig errichteten Tempel geleitet. Mönche stimmten Gesänge an. Die Generäle der Staatsführung verneigten sich mehrfach. Dann warf man dem Erlöser riesige Mengen Blätter zum Frass vor, denn der neue Messias von Burma war ein weisser Elefant.

Nach altem Volksglauben bringt ein Elefant mit einer Albinohaut seinem Finder grosses Glück und muss daher in Burma per Dekret der regierenden Militärjunta abgeliefert werden.

Die Politik Burmas muss immer mit einem Blick auf die Staatsgewalt des Aberglaubens und der Hexerei beschrieben und verstanden werden.

Die Generäle um Than Shwe, die Ne Win an der Macht nachgefolgt waren, standen zwar nicht mehr unter der Diktatur der Zahl 9, waren aber dennoch extrem abergläubisch.

Die Burmesen sind ein kriegerisches und extrem abergläubisches Volk. In der Vergangenheit hatten sie mehrmals ihre thailändischen Nachbarn überrannt und besiegt. Burma war einer der Hauptschauplätze im Zweiten Weltkrieg. Anfangs waren die Burmesen mit Japan verbündet. Da ihnen Tokio die Unabhängigkeit nicht geben wollte, begann Aung San mit britischer Hilfe einen Guerillakrieg gegen die Japaner. 1947 hat er den Briten die Unabhängigkeit entwunden. Aung San, Vater der heutigen Ikone Burmas, der Friedensnobelpreisgewinnerin Aung San Suu Kyi, wurde bei einer Kabinettsitzung erschossen. Er gilt als Nationalheld und Staatsgründer. Dies ist aber auch der einzige Konsens, der zwischen den seit 1962 diktierenden Militärs, der demokratischen Opposition und den vielen Minoritäten des Landes aufzufinden ist.

Die Kampfkraft der burmesischen Armee (Tatmadaw) wird durch die bewaffneten Truppen der Minderheiten eingeschränkt. Die mit den Thais verwandten Shan, die meist christlichen Karen, die Kachin (Kareni) und die Mon kämpfen alle für einen eigenen Staat oder für mehr Unabhängigkeit. Dem Regime in Rangun gelang es, Teile des „Roten Wa“ (Wa State Army USWA) von der chinesischen Grenze nach Süden umzusiedeln und als Speerspitzen gegen andere Volksgruppen einzusetzen. Als Gegenleistung wurde den Wa die Herstellung von Opium und die Produktion von Amphetaminen erlaubt, die sie nach Thailand und weiter nach Europa und in die USA schleusen. Armeechef Ne Win ("Glänzende Sonne" - 1911-2002) hatte 1962 (Amtszeit 1962-1981) in einem Putsch die Macht an sich gerissen und eine vorsichtige Demokratisierung beendet. Seine „Sozialistische Programmpartei“ ging mit Unterstützung Chinas auf kommunistischen Kurs.

Ne Win aber traute weniger Karl Marx als der Zahl „9“. Er war Nummerologe, da ihm ein Magier versichert hatte, er sei der neunte, illegitime Sprössling der historischen Alaungpaya-Dynastie. Daher wurde die Zahl 9 zum Programm der Programmpartei. Der 9.9. wurde ein Staatsfeiertag. Ne Win suchte Burma entlang dieser Zahl neu zu ordnen, was katastrophale Folgen hatte. Dem Schein nach trat er 1981 vom Amt des Staatschefs zurück, behielt aber als Parteichef alle Macht. Das bisherige Zehnersystem war ihm ein Dorn im Auge.

Daher zog er 1985 die Banknoten von 50 und 100 Kyat aus dem Verkehr und ersetzte sie durch 45 und 90 Kyat. 1986 war der 75. Geburtstag des obersten Nummerologen mit 75 Kyat zu feiern. Ne Win trat auf den Scheinen nie auf und überließ das Kopfbild seinem ehemaligen Mitkämpfer Aung San, wobei mythische Figuren und Fortschrittsbilder auf den Rückseiten wechselten. Höchste Note blieben 90 Kyat, doch war der Nationalheld Aung San vom Geld bald verschwunden, da seine Tochter Aung San Suu Kyi mit der Opposition gegen New Win begonnen hatte. Daher wurde der historische Bauernrebelle Seya San auf die höchste Note, der Neunziger, abgebildet. Aber Ne Win war auch Anhänger der "Schwarzen Magie" wie auch General Than Shwe und hielt sich verschiedene Voodoo-Meister.

Ne Win baute sich einen Palast, in dem alle Maße durch die Zahl 9 bestimmt waren. Als er bezichtigt wurde, kommunistischen Linkskurs zu steuern, befahl er per Dekret einen Fahrbahnwechsel auf die rechte Straßenseite. Da nur wenige Burmesen ein Auto hatten, hielt sich der Schaden in Grenzen.

Ne Win liess sich über seinen Geburtsort fliegen und wies den Piloten an, 9 Mal über der Stadt zu kreisen, während er in der Kabine auf einem Schaukelpferd sass und die neuen Noten abwerfen liess! Wie von seiner Astrologin verheissen mussten die neuen Noten durch 9 teilbar sein. Ne Win trat 1981 als Staatschef zurück, behielt aber als Parteichef die Fäden in der Hand. Dies auch, um seine Tochter Sanda als Nachfolgerin aufzubauen. Am 8.8.1988 begannen Studentenunruhen gegen Programmparteichef Ne Win und die herrschende „9“. Für Ne Win war alles klar: Die 8 rebelliert gegen die 9.

Das konnte Ne Win nicht dulden. Er liess die Unruhen blutig niederschlagen. Es soll über 3000 Tote gegeben haben. Im Gegenzug ließ der abergläubige Diktator am 9.9.1988 (dreimal 9 gegen zweimal 8) die Militärjunta mit dem Akronym SLORC gründen. Später wurde diese in SPDC unbenannt, was soviel heisst wie "State Peace and Development Council" oder

"Staatsrat für Frieden und Entwicklung".

Für den 27.5.1990 (2 plus 7 sind 9 samt zweimal 9 in der Jahreszahl) wurden allgemeine Wahlen ausgeschrieben. Fast 100 Parteien beteiligten sich am Urnengang. Die Wahlen wurden von der Demokratiebewegung unter Führung von Aung San Suu Kyi gewonnen. Die Militärs annullierten die Ergebnisse und schlugen die folgenden Demonstrationen neuerlich nieder. San Suu Kyi wurde unter Hausarrest gestellt. Aber auch Ne Win wurde langsam von jüngeren Kräften entmachtet und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Diese wurde aber nicht vollzogen.

Mit dem Aufstieg des Geheimdienstchefs Khun Nhint verbanden sich viele Hoffnungen, doch auch er ist von dem „alten Kameraden“ um Than Shwe gestürzt worden. Der Name des Landes wurde 1989 in „Union von Myanmar“ geändert. Die nummerologische Währung wurde abgeschafft. Man kehrte zum Dezimalsystem zurück. Burma war ins Kreuzfeuer internationaler Kritik geraten. Aug Sans Tochter war mit 1991 dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Sie steht seitdem unter Hausarrest und verweigert das Exil. Sie sieht ihrem Vater ähnlich. Große, von Banknoten abgenommene Kopien seines Porträts waren bei den Studentenunruhen aufgetaucht.

Die Zahl „9“ droht weiter aus dem Hintergrund. Das Militär ließ vor dem 19.9.1999 hunderte Personen verhaften, weil man am Tag der fünffachen Neun einen Aufstand befürchtete. Ne Wins Clan war langsam entmachtet worden. Sanda Win verlor ihre Posten. Die von Zahlen berauschte Familie scheiterte am 2.2.2002 mit einem Putsch. Monate danach ist Ne Win gestorben. Sein letzter Wunsch ist ihm erfüllt worden. Er hat das neunte Lebensjahrzehnt erreichen dürfen.

Die Generäle um Than Shwe, die Ne Win an der Macht nachgefolgt waren, standen zwar nicht mehr unter der Diktatur der Zahl 9, waren aber dennoch extrem abergläubisch. Ziffern und Zahlen erklären ihnen die Welt. Juntachef Than Shwe hält sich eine oberste Wahrsagerinn, die vom Volk ehrfürchtig als „ET“ bezeichnet wird. Von ET stammt die Idee, im Landesinneren eine neue Hauptstadt zu errichten. Unter enormen Kosten hat man in einer Einöde die Stadt Naypyidaw ("Königliches Land") errichtet. Der Erstbezug soll von ET mit dem 6.11.2005 festgelegt worden sein. Die Junta fühlte sich durch Zuspruch von ET vor weiteren, gefährlichen Kalendertagen sicher, wäre da nicht der 9.9.2007 (Zweimal 9 mit 2 plus 7 „ 9 in der Jahreszahl) gewesen. Es war genau der Tag, an dem sich ein paar wenige Mönche erstmals aus den Tempeln und Pagoden gewagt hatten.